von der verhältnismäßigkeit

ich bin verhältnismäßig ruhig.

Außer meinem Arm, der bewegt sich. Er bewegt sich mit einem Glas. Mit einem Glas, welches gefüllt ist.

Ich halte mich eher für einen Das-Glas-ist-halbvoll-Typ.

Und er schwingt, er schwingt, der Arm schwingt mit dem gefülltem Glas. Das gefüllte Glas schwingt auf mich zu, es ist gefüllt, es ist halb gefüllt und es schwingt, schwungvoll bewegt es sich. Es bewegt sich, das Glas bewegt sich, mit meinem Arm, synchron mit meinem Arm schwingt das Glas, auf mich zu.

Aber warum reden die Idioten, wenn sie reden, wenn diese Idioten reden, von Verhältnismäßigkeit?

Auch als Das-Glas-ist-voll-Typ muss ich mir eingestehen, ich gestehe mir, dass in einem nicht ganz gefüllten Glas eine Leere seinen Platz hat. So viel es auch an Fülle gibt, es gibt darüber eine Leere, solange die Fülle nicht absolut ist. Solange das Glas nicht voll ist, hat es auch eine Leere in sich. Es ergibt sich aus der Natur der Sache, dass eine Fülle auch eine Leere hat, eine Leere sich auf eine Fülle setzt und man nur durch eine Leere zur Fülle kommt.

Ich fühle die Leere. Aber warum reden die Idioten, wenn sie reden, wenn diese Idioten reden, von Verhältnismäßigkeit?

Mein Arm fühlt nicht die Leere, er fühlt die Fülle. Er spürt die tragende Rolle, welche er während des schwungvollen Tragens des gefüllte Glases vollführen muss. Er trägt seine Rolle mit dem angespannten Selbstbewusstsein eines tragfähigen Körperteils. Jeder Körperteil meines Arms ist in einer schwingenden und tragfähigen Bewegung gefangen, die mir ein Glas mit Fülle und auch Leere näherbringt. Ich freu mich und mein Arm freut sich mit mir.

Ich bin verhältnismäßig erfreut. Aber warum reden die Idioten, wenn sie reden, wenn diese Idioten reden, von Verhältnismäßigkeit?

Mein Arm vollführt eine schwingende Bewegung und damit bringt er mir ein Glas näher. Es ist gefüllt, das Glas ist gefüllt und gefühlt kommt es näher, immer näher, solange mein Arm die schwingende Bewegung vollführt. Mit der Annäherung des gefüllten Glases in der Hand meines Armes, nähert sich auch eine Leere. Ich sehe die Leere, welche mein Arm auf mich zubewegt. Ich weiß, dass ich durch diese Leere muss, um mich der Fülle zu nähern. Gemeinsam mit meinem Arm, mit einem Glas in meiner Hand und mit der Fülle des Glases, kommt die Leere auf mich zu.

Ich mag es verhältnismäßig voll. Aber warum reden die Idioten, wenn sie reden, wenn diese Idioten reden, von Verhältnismäßigkeit?

Wann bitte kommt mein Arm bei mir an? Wann bitte stoppt er diese schwingende Bewegung? Wann erreicht mich das Glas? Wann kommen die Fülle und die Leere bei mir an? Es ist ein verhältnismäßig kurzer Weg, ein Weg, den mein Arm schwingt, gemeinsam mit einem gefüllten Glas in der Hand.

Ich warte verhältnismäßig lange. Aber warum reden die Idioten, wenn sie reden, wenn diese Idioten reden, von Verhältnismäßigkeit?

Mein Arm mit einem gefüllten Glas kommt bei mir an, nachdem er seine schwingende Bewegung beendet hat. Er hat seine Bewegung abgeschlossen und hat das Glas zu mir bewegt. Die Bewegung ist beendet, die Leere ist da. Da kann mein Arm nichts dafür.

Ich bin dafür, einfach dafür, ich bin einfach so dafür, dass es mir langsam über den Kopf wächst. Aber warum reden die Idioten, wenn sie reden, wenn diese Idioten reden, von Verhältnismäßigkeit?

Ich bleibe verhältnismäßig ruhig – noch.

jeder hat die freiheit zu tun was er will

Hier und jetzt beginnt meine Meinungsfreiheit damit, dass ich mir meinerseits die Freiheit nehme, über die Freiheit des Todes zu schreiben. Das ist für manch einen und vielleicht an der Grenze zu einer Verfehlung, aber diese künstlerische Freiheit nehme ich mir und pfeife auf manche Meinung. Und noch pfeife ich auf den Tod.

Denn wer hat keine Freunde, keine Nachbarn, keine Eltern, keine Geschwister, keine Verwandten, niemand will ihn sehn?

Was meint ihr, will er denn noch hier?

verenden?

Wer meint nicht, dass es am Ende immer einsam zugeht?

Weiß er denn nicht, das er nicht sterben will?

Will er denn unsere Meinung wissen? Will er wissentlich sterben, in dem Wissen sterben, ganz alleine zu verenden?

Kennt er den Tod? Kennt wer den Tod? Kennt wer wen, der den Tod kennen könnte. Will wer den Tod kennen lernen?

Wer will das schon? Wer will den schon? Wer will den Tod?

Das ist das schöne für den Tod, er will nicht gewollt oder gekannt werden. Der Tod braucht nicht gewollt oder gekannt werden, da steht er wohl drüber.

Da drüben steht er, der Tod, am anderen Ufer.

Weiß der Tod, dass wir wissen, das er sich alleine und im Dunkeln fürchtet?

Nein, der Tod weiß das nicht – er braucht das auch nicht zu wissen, denn der Tod ist immer zu zweit! Der Tod kennt nur die Zweisamkeit, außer vielleicht, wenn die Intensivstationen überfüllt sind und die Verendenden kein Ende nehmen, dann halt mehr als nur irgendwer und der Tod.

Aber einsam und allein? Nein, einsam und allein ist der Tod nie! Immer hat er eine Gesellschaft, immer ein rund um ihn herum. Steht bei seinem Tun immer im Mittelpunkt, hat dabei die volle Aufmerksamkeit.

Der Tod ist kein Single-Haushalt, obwohl er mit niemanden verheiratet ist. Ist der Tod ledig? Oder lediglich allein in seiner Zweisamkeit?

Der Tod ist ein Narzisst, muss er sein, irgendwann färbt jeder Lebensumstand auf einen ab, das weiß doch sogar der Tod. Ob auch die Todesumstände auf den Tod abfärben?

Hat wer eine Meinung?

Todsicher

Todernst

Ernst ist jetzt 5 Jahre alt.

Aber der Tod ist sich seiner Selbstverliebtheit nicht bewußt. Er ist nicht bewußt der Narzisst, der er eben ist. Wir haben ihn dazu gemacht! Wir haben mit unserem Tun, mit unserem Leben, mit der Freiheit unseres Lebensendes, ihn zu dem gemacht, was er ist.

Er ist der Tod.

Er ist unserer Tod.

Er gehört uns.

Er bleibt der Tod.

Er hat sowieso sonst nichts zu tun.

Er hat keine Freunde, keine Nachbarn, keine Eltern, keine Geschwister, keine Verwandten, niemand will ihn sehn.

Ist das noch ein Leben? So allein? Unter all den Leuten? Unter all den Sterbenden?

Manchmal sitzt der Tod zu zweit da und denkt über das Leben nach, bildet sich seine Meinung. Wie sich sein Leben entwickeln hätte können. Was er alles werden hätte können, wenn er nur gewollt hätte.

Er weiß, er hat immer schon die Freiheit gehabt zu tun was er will. Hätte er doch damals gewußt, was er will, was er wirklich will! An die Freiheit, die er da gehabt hat, an diese Freiheit denkt er jetzt, winkt jemanden durch, winkt kurz tödlich und vermisst etwas. Vermisst die Freiheit, die Freiheit, zu tun, was wer will.

Und so sitzt er dann da, winkt die nächsten sterbenden Menschen durch, ohne dann auch nur aufzuschauen und denkt sich seinen Teil über das Leben und den Tod.

Er denkt über das Leben und den Tod nach.

Was denkt er sich dabei?

Ich meine, ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, ob der Tod das weiß, was er darüber denken soll.

Was weiß denn ich, denke ich und denke nicht mehr an den Tod, sondern an meine Freiheit, zu tun was ich will. Zu tun was ich will, bevor der Tod für mich das Wollen übernimmt und mir die Freiheit des Tuns abnimmt.

Der Tod ist der einzige auf dieser Erde der zum Schluss Recht und Freiheit hat. Er allein hat zum Schluss das Recht und die Freiheit, das absolute Recht auf seine freie Meinung.

Und er ist zum Schluss immer derselben Meinung. Die ändert er sicher, todsicher nicht.

Und so sterben sie dann alle, die Menschen, die Freiheit, die Meinung, und zu aller letzt die Hoffnung.

Dann ist der Tod endlich allein.

Jedermann weiß das.